Oberlausitz – wann macht der Letzte das Licht aus?

Veröffentlicht am 28. Dezember 2024

Eingestürztes Werkstatt-Dach in Schirgiswalde-Kirschau, Sachsen

Ich bin in der Oberlausitz aufgewachsen. Einer Region, die sich, seit ich denken kann, in einem immer fortwährenden Strukturwandel befand und befindet.

Zunächst zogen meine Eltern mit uns Kindern in eine Plattenbausiedlung in einer Kleinstadt, was damals modernes Wohnen mit vollem Komfort bedeutete. Die Stadt boomte. Jedenfalls vordergründig, denn es gab viele Arbeitsplätze in der lokalen Textilindustrie. Wie nachhaltig das alles war, darüber kann ich nur spekulieren. Ich erinnere mich jedenfalls an Erzählungen meiner Mutter, nach denen die Arbeiter an manchen Tagen Ende der 80er-Jahre nur deshalb in ihre Mähdrescher-Fabrik gefahren wurden, um Stunden später wieder abgeholt zu werden – zu tun gab es dazwischen nichts.

Es kam die Wende, die lokalen volkseigenen Betriebe wurden abgewickelt oder von der Treuhand für symbolisches Geld verkauft. Die Menschen wurden arbeitslos, zogen in Scharen weg, und das Leben stand erst Kopf und verschwand dann Stück für Stück aus den Orten, die ich kannte. Ende der 90er-Jahre hatten wir neue Straßen und Turnhallen, aber eine offizielle Arbeitslosenquote von über 25 %. Ich war dann irgendwann auch weg – dem Ruf einer westdeutschen Großstadt und der Dotcom-Bubble folgend.

Heute, knapp ein Vierteljahrhundert später, kann man konstatieren, dass die Landschaften in der Oberlausitz zwischendurch tatsächlich einmal kurz aufblühten, so ein bisschen jedenfalls. Die Fördermillionen (oder waren es gar selbst hier Milliarden?) von EU, Bund und Land wurden investiert, die niedrigen Zinsen der 2010er sorgten auch für viele hübsch renovierte private Häuschen. Irgendwann verschwand auch das Gespenst der Arbeitslosigkeit. Wer wollte, fand erst immer häufiger einen Job, und irgendwann konnte man ihn sich sogar aussuchen.

Die Busse fahren allerdings noch immer nur ein paar Mal am Tag, die zwischendurch hübsch hergerichteten Fußwege sind vielerorts von Unkraut gesäumt, und viele der Häuser in unserer alten Plattenbausiedlung sind inzwischen abgerissen oder um ein paar Stockwerke gekürzt. Die alten Industriegebäude stehen großteils ebenfalls nicht mehr, neue Ansiedlungen hat es meines Wissens in den letzten 35 Jahren trotz aller Versuche der Wirtschaftsförderung keine nennenswerten gegeben.

Ein Blick in die Straße, in der sich meine Eltern in den 90ern zu Beginn ihres quasi zweiten Lebens nach der Revolution den Traum vom eigenen Haus verwirklichen konnten, zeigt, was gerade übrig geblieben scheint: Einige Häuser verfallen und warten auf ihren Abriss. In anderen wohnen junge Familien, die sich mit im Schnitt immer noch erheblich niedrigeren Löhnen und Gehältern als anderswo durchs Leben schlagen. Und in vielen leben die zurückgebliebenen Baby-Boomer, deren Kinder nur noch in den Ferien zu Besuch kommen.

Regelmäßig kommen hier dann auf Sicht nur noch die Müllabfuhr und die Pflegedienste. Wo Letztere das Personal finden sollen in einer überalterten Region, die bereits heute zu 30-40 % Nazis in ihre Parlamente wählt, ist eine der Fragen, der man sich hier stellen muss.

Der Strukturwandel hat je nach Betrachtung gerade begonnen – oder nie aufgehört.

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